Die meisten Autofahrer, die sowohl im Stadtverkehr und auf dem Land unterwegs sind, sind in der Stadt noch aufmerksamer als sonst. Denn jeder von uns kennt sicherlich den einen oder anderen Blechschaden, der aus Unaufmerksamkeit oder aufgrund der hohen Verkehrsdichte entsteht. Allerdings sind die meisten überrascht, wenn sie von einem Wildunfall hören. Diesem Phänomen, welches sich oftmals auf abgelegenen Straßen abspielt, sollte man sich anhand der Zahlen nähern. Denn nur wenige bekommen diese Unfälle direkt mit.
Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft sprach bereits 2011 in der traurigen Unfallbilanz von 666 Verkehrsunfällen mit Rehen und Wildschweinen (Quelle: http://www.gdv.de/2011/11/pro-tag-666-verkehrsunfaelle-mit-rehen-und-wildschweinen/) pro Tag. Umgerechnet bedeutet dies, dass alle 2,16 Minuten irgendwo in Deutschland ein Wildunfall stattfindet. Das Universitätsinstitut für Wildbiologie, welches zu den Universitäten Göttingen und Dresden gehört, nennt ähnliche Zahlen: (http://www.wildbiologie-institut.de/index.php?option=com_content&view=article&id=99&Itemid=100):
Es geht von Sachschäden von etwa 490 Millionen Euro und bis zu 27 Toten sowie 600 Schwerverletzten pro Jahr aus, die durch Wildunfälle verursacht werden. Nicht gezählt sind dabei die Leichtverletzten sowie die erheblichen Verunsicherungen auf Seiten der Verkehrsteilnehmer.
Die Tiere als schwächste Verkehrsteilnehmer leiden am Meisten unter dem schnellen Autoverkehr, der erheblich schnellere Reaktionszeiten und ein rasanteres Fluchtverhalten erfordert, als in der freien Natur erforderlich ist. Es wird von 200 000 größeren Tieren (wie beispielsweise Rehen, Damwild) gesprochen und ungezählten kleineren Tieren wie Füchsen und Hasen.
In allen genannten Zahlen ist allerdings noch eine erhebliche Dunkelziffer enthalten, weil nicht alle Verkehrsteilnehmer Wildunfälle auch wirklich der Polizei melden würden. Der Präsident des Jagdverbandes Hartwig Fischer spricht von einer Dunkelziffer, die “drei bis fünf” Mal höher wäre!
Grund genug, sich näher mit dem Thema der Unfallvermeidung zu befassen. Bei den Recherchen tritt erstaunliches zu Tage: Die meisten Maßnahmen gegen Unfälle mit Tieren wurden zugunsten gefährdeter Tierarten getroffen, die viel kleiner als Rehe sind. Ein Forschungsprojekt, das gestartet wurde, bietet aber echte Lichtblicke und einen Blick auf mehr Schutz gegen Wildunfälle.
Der Herausforderung der zunehmenden Wildunfälle wird vom DJV und ADAC mit einem vierjährigen Forschungsprojekt begegnet, welches verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung der Wildunfälle und den Schutz für die Autofahrer auf Wirksamkeit testen möchte. Auf 25 Strecken in Schleswig-Holstein, die Wildunfall-Schwerpunkte sind und als Wildunfall Hotspots bezeichnet werden, werden unterschiedliche Maßnahmen getestet.
Die Gegenmaßnahmen wurden dahingehend ausgewählt, dass sie technisch nicht zu kompliziert sind und deshalb auch von den jeweiligen Jagdpächtern oder Förstern in Betrieb genommen werden können. Zudem sollte die Bewegungsfreiheit gerade der großen Tiere auf ihrer Suche nach Futter oder anderen Tieren nicht eingeschränkt werden.
Die Tests der einzelnen Maßnahmen gegen Wildunfälle erforderte eine genaue Bestandsaufnahme der Testumgebung und der einzelnen Wildunfälle, damit die Gegenmaßnahmen strukturiert ergriffen werden können und deren Wirksamkeit besser untersucht werden kann.
In einem ersten Schritt werden die zu testenden Strecken in verschiedene Kategorien wie strukturreiche Lebensräume, Landwirtschaft und Wald eingeteilt. Um einen guten Einblick in die Gefährdung und die Unfallwahrscheinlichkeit zu bekommen werden dann die Metadaten zum Verkehrsgeschehen erhoben: Die Fahrgeschwindigkeit und die Fahrzeughäufigkeit sind wohl die beiden wesentlichsten Einflussfaktoren auf die Wildunfall-Häufigkeit, die das Wildbiologie-Institut benennt (http://www.wildbiologie-institut.de/index.php?option=com_content&view=article&id=86&Itemid=41).
Ein weiterer Bestandteil des Maßnahmenbündels ist die genauere Erfassung des Unfallhergangs aus Sicht der Autofahrer. Dabei stehen die Fragen im Mittelpunkt, die durch das klassische Unfallprotokoll der Polizei oder die Wildbescheinigung des Försters oder Jagdpächters nicht geklärt werden können. Wichtige Punkte betreffen beispielsweise die Bewegungsrichtung des Wilds, ob es einzeln oder in einer Herde unterwegs war. Dabei wird auch auf die Uhrzeit und den Wochentag des Unfalls geachtet, um mögliche Korrelationen herausarbeiten zu können.
Das Thema Wildunfälle wird etwas seit dem Jahr 2003-2004 aktiv in Angriff genommen. Seitdem gibt es ganz unterschiedliche Maßnahmen beginnend bei einer Warnung der Autofahrer durch dynamische Wechselverkehrszeichen über Sicherungsmaßnahmen an der Strecke bis zu Duftzäunen und optischen Warnungen der Tiere.
Die Bundesstraße 202 erhielt in ihrem Verlauf zwischen Kiel und Oldenburg bereits im Jahr 2004 eine neuartige Lösung zur noch gezielteren Warnung der Autofahrer. Elektronisch gesteuerte Verkehrszeichen zeigen nur dann eine Gefahr durch Wildwechsel an, wenn auch tatsächlich Wild in der Nähe der Straße ist. Dieses wird durch Infrarotsensoren erfasst. Unmittelbar danach wird ein dynamisches Verkehrszeichen ausgelöst, welches auf die Wildwechselgefahr hinweist und zusätzlich ein zeitlich befristetes Tempolimit von 70 Stundenkilometern auslöst. Obwohl die Wissenschaft dadurch sehr genaue Hinweise auf die Anzahl der Wildwechsel und der Unfallursachen bekommt, ist diese dynamische Signalisierung keine bundesweite Lösung. Die erhebliche Investition in Sensortechnik und Verkehrsbeeinflussung sorgt dafür, dass diese elektronische Variante der absolute Ausnahmefall bleiben wird. Der Grund dafür ist, dass alle 50 Meter Sensoren angebracht werden müssten, um einen Abschnitt zu erfassen.
Alternativ werden bisher Einzäunungen verwendet, die allerdings die natürliche Umgebung der Tiere einschränken. Das Überqueren der Straße ist dann nur noch in Bereichen möglich, die übersichtlicher sind (wie lange Geraden). Ebenso gängig sind Wildbrücken oder -tunnel, die aber sehr hohe Kosten verursachen. Zudem stellt sich gerade bei Wildtunneln für kleinere Tiere die Frage, ob diese nicht durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit sehr gefährdet werden könnten. Insbesondere Kröten und anderen Kleintieren lauerten am Ende des Wildtunnels oftmals die natürlichen Feinde auf, da sie dort ja nicht ausweichen konnten. Aus diesem Grund werden manche nicht viel befahrene Straßen während der Zeit der Krötenwanderung nachts ganz gesperrt, wie beispielsweise der ADFC München berichtete (http://www.adfc-muenchen.de/lk-sued/beigarten-1.pdf). Die vollständige Sperrung ist für die größeren Straßen nicht möglich, weshalb andere Maßnahmen auszuprobieren wären.
Die Zeitschrift “Niedersächsischer Jäger” berichtet in der Ausgabe 8/2005 über verschiedene Maßnahmen gegen Wildunfälle. Eine Maßnahme, die sich schon seit einiger Zeit sehr gut bewährt, sind Duftzäune entlang der Straße. Dabei handelt es sich um ein biologisch abbaubares, umweltfreundliches Produkt, welches die Geruchssinne der Tiere anspricht. Duftzäune setzen auf die erhöhte Wachsamkeit der Tiere, wenn Sie Gefahr im wahrsten Sinne des Wortes riechen. Die durch Duftzäune renommierter Hersteller – beispielsweise von Hagopur – erzeugte künstliche Witterung besteht aus einem synthetisch erzeugten Geruch des Menschen, vermischt mit Bär und Wolf. Die Geruchsstoffe werden mit einem Schaum versprüht und werden durch die natürliche Sonnenbestrahlung zeitversetzt freigesetzt. Bei der Anwendung dieses “Duft-Schaumes” sind also keine großen technischen Umbauten erforderlich. Es ist anzunehmen, dass der Duftcocktail die Tiere in eine erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und sie deshalb die Fahrzeuge und deren Bewegung wesentlich aufmerksamer wahrnehmen und gar nicht erst hier und sofort die Straße überqueren. Die ADAC Motorwelt berichtete bereits im Jahr 2004 in der Ausgabe 9 über eine Reduzierung der Unfallzahlen zwischen 76 und 100 %!
Einer der großen Vorteile der Duftzäune ist ihre im Gegensatz zu vielen einfachen Besprühungen geringe Wartungsintensität bzw. direkter formuliert die lange Nutzbarkeit. Der Hersteller Hagopur spricht von einem Schaumdepot, welches bis zu fünf Jahre lang genutzt werden könnte. Statt einem Schaumdepot können Duftzäune in Form des Schaumes auch direkt auf die Innenseite beispielsweise von Leitplanken angebracht werden. Da es sich um keine Metall verätzenden Stoffe handelt, kann der Schaum für die Duftzäune einfach mit einer Dosierpistole aufgesprüht werden.
Duftzäune leisten in Deutschland und vielen weiteren Ländern einen erheblichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Immerhin sind bereits 30.000 Kilometer alleine in Deutschland dank der Duftzäune noch sicherer geworden. Dabei müssen keine Bäume gefällt oder anderweitig mechanisch aufwendige Maßnahmen ergriffen werden. Duftzäune wirken 24 Stunden am Tag, da sie auf Basis der Geruchswahrnehmung funktionieren und nicht wie fluoreszierende Markierungen oder die Reflektoren nur bei Angestrahltwerden durch Fahrzeugscheinwerfer wirkt. Interessant ist auch, dass die Wirkung nicht mit der Gewöhnung der Tiere nachlässt, wie anfangs befürchtet worden ist. Auf manchen Strecken sind Duftzäune seit mehr als zehn Jahren im Einsatz, ohne dass ein Gewöhnungseffekt eingetreten wäre. Die Begründung dafür liegt darin, dass alle Duftzäune die natürlichen Instinkte der Tiere ansprechen, die sich seit Jahrtausenden entwickelt haben. Die Studie der Unis Göttingen und Dresden können im Rahmen einer vierjährigen Studie diese Wirkung nachhaltig bestätigen, wobei jetzt die Ergebnisse der ersten Hälfte der Studiendauer bekanntgegeben werden konnten.
Der Einsatz von Reflektoren überträgt ein bekanntes Prinzip der Verkehrssicherheit auf Tiere. Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit werden an Gefahrenstellen (wie beispielsweise Baustellen) Warnlichter oder blinkende Lichter eingesetzt, um die Aufmerksamkeit des – menschlichen – Fahrers zu erhöhen und auf die Gefahrenstelle zu lenken. Die Reflektoren für Wildtiere funktionieren ähnlich, sind aber in der Farbgebung auf die beste Wirkung zugunsten der Tiere abgestimmt. Verschiedene Farben der Reflektoren wurden ausprobiert, wobei rote bzw. weiße Reflektoren nicht die gewünschte Wirkung erzielen konnten. Deshalb werden inzwischen blaue Reflektoren eingesetzt, die das von der Fahrbahn auf sie auftreffende Licht reflektieren und auf den Bereich außerhalb der Fahrbahn abstrahlen.
Blau ist für die Tiere offensichtlich eine Warnfarbe, da sie in der natürlichen Umgebung selten bis gar nicht vorkommt. Der Einbau dieser Reflektoren ist zudem mit relativ wenig Aufwand möglich. An den kritischen Stellen werden sie an die Außenseite der ohnehin vorhandenen Leitpfosten angebracht und strahlen dann das eintreffende Licht diffus in Richtung des Waldes bzw. der Umgebung und nicht auf die Straße ab. Jedes Wildtier, was sich in der Nähe der Straße befindet, sieht dann dieses blaue Aufleuchten und ist vor der Gefahr gewarnt. Der Nachteil dieser Reflektoren ist allerdings, dass diese ausschließlich den Sehnerv bzw. die “Sehwahrnehmung” ansprechen und nicht zusätzlich den Geruchssinn aktivieren. Eine Desorientierung der Autofahrer ist nicht zu befürchten, da das Blau weder die Farben von Rücklichtern noch Fahrlicht aufnimmt und deshalb nicht als Verkehrsteilnehmer misinterpretiert werden kann.
Die wirklich hervorragenden Testergebnisse des ersten Teils der Studie sollen noch bis 2015 weiter validiert und in einen langfristigen Trend eingeordnet werden. Aber schon jetzt – zur Halbzeit der Studie der Universität Göttingen und Dresden – hat sich die Reduzierung der Wildunfälle irgendwo im Bereich zwischen 70 und 80 % eingependelt. Ein sehr beeindruckender Wert, wenn Sie den Schutz durch Duftzäune und die Reflektoren und die dadurch vermiedenen Personen- und Sachschaden betrachten.
Trotz einer Reduzierung um fast 80 Prozent lassen sich Wildunfälle nicht ganz vermeiden. Auch wenn damit nur noch jeder fünfte Wildunfall tatsächlich eintritt, sollten Sie über die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensregeln nachdenken. Wenn Sie ein bisschen nachlesen, dann finden sich bei den verschiedenen Verkehrssicherheitsexperten des ADAC, des DVR oder auch der Jagdverbände folgende Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensregeln zum Schutz von Mensch und Tier:
Geschwindigkeitsreduzierung Es spricht nichts dagegen, die erlaubte Geschwindigkeit auf einer Bundesstraße nicht voll auszufahren. Wer seine Geschwindigkeit von 100 auf 80 oder 70 Stundenkilometer reduziert, der hat einen erheblich kürzeren Bremsweg und kann so viele Wildunfälle vermeiden. Der Schutz entsteht durch den kürzeren Bremsweg und mehr Reaktionszeit für alle Beteiligten.
Bremsen, aber nicht ausweichen
Dieser Tipp wird verständlich, wenn Sie an die Hindernisse entlang der Strecke denken. Insbesondere im Wald kann ein unkontrolliertes Ausweichmanöver dazu führen, dass Ihr Fahrzeug auf einen Baum aufschlägt. Dieser Aufschlag ist wesentlich schwerer als die Kollision mit einem Wildtier, auch wenn es ein großes sein sollte. Deshalb möglichst gut bremsen und das Lenkrad festhalten!
+Das Tier durch Hupen verjagen. Laute Geräusche werden als Bedrohung wahrgenommen und können dafür sorgen, dass das Wildtier möglichst schnell die Fahrbahn verlässt. Der Schutz dieser Maßnahme gegen Wildunfälle entsteht durch rechtzeitiges Warnen des Tiers.
Moped- und Motorradfahrer können ähnliche Tipps gegen Wildunfälle, die Duftzäune und Reflektoren leider nicht zu 100% verhindern können, auch beim ADAC nachlesen (http://www.adac.de/infotestrat/motorrad-roller/sicherheit-praxis/tipps-motorradfahren/wildunfall.aspx)